Fräulein Korrekt
Preisgestaltung im Korrektorat und Lektorat
Aktualisiert: 17. Nov. 2021
Die Auffassungen von angemessener Preisgestaltung im Korrektorat und Lektorat könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf Branchenseite wird beklagt, dass man von der Tätigkeit kaum mehr leben könne und für Qualität nicht mehr entsprechend gezahlt werde, weil Anbieter mit zu niedrigen Preisen den Markt vergifteten. Kundenseitig wird hingegen oft moniert, dass die Preise für die Dienstleistungen überteuert seien bzw. man sich diese nicht leisten könne.
Als dienstleistende Person will man sich irgendwo dazwischen platzieren: Von der eigenen qualitätsvollen Arbeit leben können – ein sehr basaler Wunsch eigentlich – und dennoch niemanden übervorteilen. Aber wann ist das eine und wann das andere gegeben, und wo ist die Mitte?
Wie ich meine Preise kalkuliere, welche Gedanken ich mir über deren Gestaltung gemacht habe und warum zu niedrige Preise nicht nur für mich zum Problem werden können – darum geht es in diesem Beitrag.
"Jeder Text ist so individuell wie der Mensch, der ihn verfasst hat."
Dieser Satz steht so und so ähnlich an mehreren Stellen auf meiner Website. Nicht, weil er so toll klingt, sondern weil er etwas Grundlegendes verdeutlichen soll: Pauschalpreise sind nicht möglich, wenn der Arbeitsaufwand für ein Korrektorat, Lektorat oder eine artverwandte Dienstleistung angemessen bezahlt werden soll. Texte sind verschieden; daher variiert der Arbeitsaufwand bei gleicher Dienstleistung teilweise sehr stark.
Der Weg zum Preis: Kostenvoranschlag
Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich einen Businessplan erstellt und durchkalkuliert, was ich verdienen muss, um davon leben und das Geschäft langfristig betreiben zu können. Mit dieser Kalkulation im Hinterkopf habe ich Grundpreise für meine Dienstleistungen festgelegt, die meiner Qualifikation und langjährigen Erfahrung angemessen sind. Diese Grundpreise multipliziere ich mit projektspezifischen Faktoren (dazu unten mehr), woraus sich am Ende der Preis ergibt. So die Theorie.
Es ist völlig klar, dass man vor dem Kauf wissen will, wie viel eine Dienstleistung kosten wird. Daher erstelle ich für jedes Projekt einen individuellen Kostenvoranschlag.
Für die Erstellung eines Kostenvoranschlags muss ich den Arbeitsaufwand einschätzen können, der sich an den projektspezifischen Faktoren bemisst. Dafür ist es notwendig, dass ich wenigstens eine repräsentative Probe des endgültigen Textes gesehen sowie weitere Informationen erhalten habe. All das, was mir mit der Anfrage nicht mitgeteilt wurde, erfrage ich im Nachgang.
Faktoren
Art und Umfang des Textes
Art und Umfang der Dienstleistung
Notwendigkeit zur Einarbeitung in ein Thema/Komplexität eines Themas
Fehlerdichte
Dateiformat
Bearbeitungszeitraum
Basierend auf der Textprobe und den Informationen erstelle ich einen Kostenvoranschlag nach Seiten- oder Stundenpreis.
Seitenpreis
Eine Seite umfasst in meinen Kalkulationen stets 1.500 Zeichen (inkl. Leerzeichen). Seitenpreise sind dann möglich, wenn der finale Text vorliegt und sich die Zeichenanzahl feststellen lässt.
Stundenpreis
Bei bestimmten Aufträgen setze ich einen Stundenpreis an und schätze die voraussichtliche Bearbeitungsdauer. Das geschieht
bei Anfragen ohne Textprobe;
bei Aufträgen mit so geringer Textmenge, dass eine Kalkulation auf Basis der Zeichenanzahl meinen Aufwand nicht decken würde;
bei Aufträgen, bei denen ich die Zeichenanzahl nicht oder nur ungenau feststellen kann (beispielsweise wenn Texte bereits in eine grafische Umgebung eingebettet sind);
bei Tätigkeiten, die nicht anhand der Zeichenanzahl kalkuliert werden können (Indexieren, Projektmanagement).
Take it or leave it – oder Ratenzahlung
Mit einem Kostenvoranschlag bei der Hand kann man in Ruhe überlegen, ob man die Dienstleistung kaufen will oder nicht. Es gibt keinerlei Verpflichtung, allerdings sind Kostenvoranschläge nur zwei Wochen gültig.
Gern erkläre ich, wie der Preis zustande kommt. Das kann im Telefonat, per E-Mail oder anhand einer Arbeitsprobe geschehen. Ich diskutiere aber nicht über meine Preisgestaltung. Bei mir gilt die einfache Regel:
"Ich sage Ihnen, was es bei mir kosten wird und warum das so ist. Sie entscheiden, ob Sie es wollen oder nicht."
Das bedeutet aber nicht, dass ich kein offenes Ohr habe, wenn es um Liquiditätsprobleme geht. So kann ich Ratenzahlung anbieten oder lasse hinsichtlich des Zahlungsziels mit mir reden.
Rabatte biete ich nur in zwei Fällen an:
Wenn es sich um einen Auftrag aus dem Ehrenamt, der Gemeinnützigkeit oder der Wohltätigkeit handelt und ich die Sache für unterstützungswürdig erachte.
Wenn ein bestimmtes Auftragsvolumen erfüllt bzw. überschritten wird. Das ergibt sich beispielsweise bei langfristigen Kooperationen oder der Bearbeitung einer mehrbändigen Reihe.
Pump up the dump
Wir alle kennen sie: Plattformen, auf denen man Textdienstleistungen zu überraschend niedrigen Preisen erhalten kann. Auf solch einer Plattform stieß ich kürzlich auf folgendes Sprichwort:
"If you pay peanuts, you get monkeys!"
Das Sprichwort besagt, dass man mit schlechter Bezahlung nur inkompetente oder unqualifizierte Leute anziehe.
Nun handelt es sich hierbei nicht etwa um den Slogan der Plattform. Nein, nein!
Ich las das Sprichwort mehrmals in Profilen von Personen, die so versuchten, sich von denjenigen abzugrenzen, die zu Dumpingpreisen arbeiten. Welch Ironie!
Es ist etwas Wahres an dem Sprichwort. Doch kann man mit schlechter Bezahlung auch kompetente und qualifizierte Menschen anziehen – die sich dann schlicht selbst ausbeuten. Manche merken es womöglich gar nicht. Manchen bleibt vielleicht nichts anderes übrig. Denn es spricht Bände, dass man sich auf einer Plattform verdingt, deren System man gleichzeitig ablehnt.
Hinter sehr niedrigen Preisen können(!) mangelnde Qualifikation und schlechte Qualität stehen (dazu unten mehr). Was auf jeden Fall dahinter steht, ist eine (erzwungene) Gleichgültigkeit – vielleicht auch Ahnungslosigkeit – gegenüber der eigenen ökonomischen Lage.
Freilich muss es niemanden interessieren, ob und wie eine dienstleistende Person ihr Leben im Griff hat. Aber die Kehrseite der Medaille lautet:
Wer billig kauft, kauft (womöglich) zweimal oder dreimal!
Mich erreichten schon Texte, die bereits ein- oder zweimal im Korrektorat waren und noch immer von Fehlern strotzten. Die Geschichten dazu variierten, lassen sich aber wie folgt zusammenfassen:
Eine Privatperson hat das Korrektorat gratis oder für ein Taschengeld gemacht. Bisweilen war die Dienstleistung so schlecht, dass dem Text sogar noch Fehler hinzugefügt wurden. Klarer Fall von unqualifiziert; da hätte vermutlich nicht einmal eine angemessene Bezahlung geholfen.
Die Dienstleistung wurde bei einem gewerblichen Anbieter (*hust* Plattform *hust*) zu einem Spottpreis gekauft und noch dazu in sportlichem Tempo über die Bühne gebracht. Die Schnelligkeit ging auf Kosten der Qualität; die zu niedrige Bezahlung tut hier ihr Übriges.
Im ersten Fall gibt es kaum eine rechtliche Handhabe, um eine Nachbesserung zu fordern.
Im zweiten Fall lohnt sich ein Blick in die AGB des Anbieters: Denn es besteht gegebenenfalls die Möglichkeit, eine Nachbesserung oder Preisminderung zu fordern, wenn nachweislich eine mangelhafte Leistung erbracht wurde.
Es gilt aber stets:
Jemand, der das Handwerk beherrscht und ernsthaft betreibt, wird niemals eine 100-prozentige Garantie auf Fehlerfreiheit abgeben. Denn das ist nicht möglich!
Fazit
Korrektorate um 1,00 bis 2,00 Euro pro Seite? Ein Komplettlektorat zum Fixpreis von 5,00 Euro pro Seite? So arbeite ich nicht. Qualität ist mir wichtig, aber Qualität braucht ihre Zeit. Und Zeit bedeutet Geld.
Wer wissen will, wie eine nachhaltige Preisgestaltung im Korrektorat und Lektorat aussehen sollte, dem möchte ich einen Beitrag von Mathias Stolarz ans Herz legen.
Tipp: Zeit nehmen und vergleichen
Hat man ein Korrektorat oder Lektorat zu vergeben, sollte man mehrere Angebote einholen und sich im Gespräch, per E-Mail oder anhand einer Arbeitsprobe erklären lassen, wie der Preis zustande kommt. Man sollte sich nach Qualifikation und/oder Referenzen erkundigen. Und man sollte herausfinden, ob die Chemie zwischen den Beteiligten stimmt.
Erst dann kann man eine fundierte Entscheidung für oder wider treffen.